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ExistenzgründungUnternehmensbeteiligung

Marktvolumen 2,01 Billionen US-$ – Produkt noch nicht vorhanden

Neulich erhielten wir über die Business-Plattform XING eine Anfrage:

„Guten Tag Herr Haupt,

wäre unser Projekt interessant für Sie?

MfG
Namen nennen wir ja nicht

Na, das ist doch mal eine sehr spezifische Anfrage, oder? Und das „MfG“ ist eine stilistische Unart ohne Gleichen. Offenbar ist man dem anderen ja nicht einmal wert, dass er die freundlichen Grüße ausschreibt.

Wir schrieben also zurück:

„Sehr geehrter Herr Namen nennen wir ja nicht,

das weiß ich nicht. Um welches Projekt geht es denn?

Viele Grüße
Jörg Haupt“

Die verblüffende Antwort:

„Sehr geehrter Herr Haupt,

hatte angenommen, dass Sie meinen Artikel (Anmerkung des Autors: in einem XING-Forum) gelesen haben. Siehe unter „Über mich“ auf meinem Profil.

Beste Grüße
Namen nennen wir ja nicht

Na ja, ganz schön merkwürdig solch eine Anfrage, oder? Aber wir sind ja gar nicht so und ließen uns eine Summary des Business-Plans schicken. Wir erhielten ein dreiseitiges Dokument, demzufolge ein Maschinenbauunternehmen Seed Capital, also eine Frühphasenfinanzierung zur Herstellung einer Innovation suchte.

Die erste Sache, die sehr interessant war: Dieses innovative Unternehmen, das laut Summary eine Maschine für einen Nischenmarkt erfunden hatte, gab ein Marktvolumen von 2,01 Billionen US-$ an. Dies veranlasste uns, einmal nachzufragen, ob denn nicht ein Übersetzungsfehler vorliegen würde. Denn bekanntlich ist one billion im Englischen in der deutschen Übersetzung eine Milliarde. Die Antwort kam prompt: Nein, es seien wirklich etwas über zwei Billionen gemeint.

Heute haben wir dann einmal mit dem freundlichen Gründer telefoniert und natürlich haben wir ihn auf sein billionenschweres Marktvolumen angesprochen. Dabei kam heraus, dass er es mit der Marktabgrenzung und dem daraus abgeleiteten Marktvolumen bzw. Marktpotential nicht ganz so genau nahm. Gestatten Sie uns also einen kleinen Exkurs.

In einer fundierten Marktanalyse wäre zunächst einmal der relevante Markt abzugrenzen: Man unterscheidet hier nach sachlicher, räumlicher und zeitlicher Marktabgrenzung. Dies soll an einem Beispiel anschaulich erläutert werden:

So kann man z.B. den Markt für Urlaubsreisen sachlich eingrenzen hinsichtlich diverser Kriterien. Es gibt beispielsweise einen Teilmarkt für Pauschalreisen oder nur für Flüge. Der Markt für Kreuzfahrten beispielsweise lässt sich weiter unterteilen in die Teilmärkte Flusskreuzfahrten, Luxuskreuzfahrten, Expeditionskreuzfahrten, Hochseekreuzfahrten oder Segeltörns. Eine mögliche räumliche Marktabgrenzung liegt beispielsweise dann vor, wenn das die Reisen vermittelnde Reisebüro nur in Düsseldorf seine Reisen anböte.

Die zeitliche Marktabgrenzung ist dagegen eher ein Spezialfall. Ein gutes Beispiel wäre eine Fußball-Weltmeisterschaft: Die Trikots der Spieler bzw. Mannschaften oder die mittlerweile zu jeder EM oder WM gehörenden Fahnen für das Auto sind außerhalb solcher Ereignisse eher schwierig abzusetzen. Dies umso mehr, da für jede Fußball-WM eigene Trikots designed werden. Der Markt für WM-Fanartikel ist also auf die unmittelbare Zeit vor und während eines solchen Events beschränkt.

Unser freundlicher Gründer jedoch hatte mit solchen Haarspaltereien weniger Probleme. Mit dem Hinweis, er hätte auch BWL studiert tat er das als irrelevant ab. Gemeint mit dem 2,01 Billionen US-$-Markt wäre das kumulierte Umsatzvolumen der Betriebe, die potentiell als Kunden in Betracht kämen.

Nun ja, das ist natürlich doch eine sehr eigenwillige Betrachtung. Demnach wäre z.B. der potentielle Markt für Dienstwagen so groß wie das Umsatzvolumen aller Unternehmen. Sie stimmen uns sicher zu, liebe Leser, dass eine solche Sichtweise doch sehr unseriös ist.

Unser freundlicher Gründer dagegen sagte uns am Telefon, für solche Kleinigkeiten hätte er keine Zeit. Klar, für einen potentiellen Investor ist es ja auch völlig egal, welche Absatzchancen das Produkt hat, in das er investieren soll. Wir in unserem Beraterteam schätzten den Markt hingegen so ein, dass weltweit lediglich einige hundert Unternehmen als Kunden infrage kommen. Aber wie gesagt: Wer wird sich denn gleich mit solchen Kleinigkeiten aufhalten?

Gut, wir halten uns natürlich mit solchen Kleinigkeiten auf. Eine derart schlampige Marktanalyse und patzige Antworten auf Nachfragen dazu sind nämlich nicht geeignet, wenn man sich auf die Suche nach einem Investor begibt.

Auch weckt es nicht gerade Vertrauen, dass bereits die Marktanalyse derart schlampig bzw. unseriös ist, wenn es sich um eine Innovation handelt, von der man noch gar nicht weiß, ob sie denn überhaupt am Markt angenommen wird. Bedenkt man weiter, dass unser freundlicher Gründer nicht einmal einen funktionierenden Prototypen präsentieren konnte, dann wird das Projekt geradezu abenteuerlich. So reiht sich dieses Projekt wohl ein in eine ganze Reihe doch recht merkwürdiger kapitalsuchender Projekte, mit denen wir im Laufe der Zeit konfrontiert wurden.

Wir haben das Gespräch dann mit dem Hinweis beendet, dass wir uns wohl einig wären, nicht zusammenarbeiten zu wollen.

Bildnachweis: Lizenzfreies Bild aus der Datenbank Free PhotosBank

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